Die Vorfreude war riesig. Bei mir, aber auch bei allen anderen Fans der Punkrock-Urgesteine aus Kalifornien. Wie hätte es auch anders sein können? Immerhin hat dieses Album neun Jahre auf sich warten lassen. Am 16.04.2021 veröffentlichten the Offspring ihr mittlerweile zehntes Studioalbum Let The Bad Times Roll.
Ein Gastbeitrag von Jörn Fieselmann
Meine große Befürchtung im Bezug auf das neue Album war, dass die Pop-Einflüsse Überhand nehmen würden. Eine Tendenz in Richtung Pop-Rock war vor allem auf dem Vorgängeralbum Days Go By (2012) zu erkennen. Prinzipiell hatte ich nichts dagegen, wenn mich ein bis zwei Songs auf dem neuen Album erwarten würden, die ebenfalls in diese Richtung gingen. Meine Hoffnung war allerdings, dass sich die Band an ihrem punkrockgeprägten Sound der 1990er Jahre orientieren würde.
Das Album beginnt mit dem Track This Is Not Utopia. Nicht schlecht. The Offspring versuchen anscheinend gleich klarzustellen, dass sie sich definitiv nicht vollends dem Pop-Rock zugewandt haben. Schnelle, geachtelte Passagen auf den Drums in den Strophen, flankiert von einfachen Powerchord Abläufen auf den Gitarren erinnern an die besten Zeiten aus den 1990er-Jahren. Der Refrain kommt, durch den Wechsel zu einem geviertelten Drumbeat etwas enttäuschend daher. Alles in allem aber ein solider Rocksong und ein durchaus gelungener Opener.
Anschließend folgt der Titeltrack des Albums Let The Bad Times Roll, der im Februar als erste Single ausgekoppelt wurde und leider meine Befürchtung hinsichtlich der Pop-Rock Tendenz nur befeuert. Egal wie oft ich ihn höre, ich werde nicht warm mit ihm. Zwar kann man den Großteil des Songs als soliden (Pop-) Rock mit Ohrwurmpotenzial bezeichnen, nur ist der Refrain, der durch unverzerrte Gitarren geprägt ist, meiner Ansicht nach erschreckend schwach, da hier vollkommen der Druck fehlt.
Der darauffolgende sehr melodische, zu Beginn leicht balladige Track Behind Your Walls gefällt mir viel besser, auch wenn er ebenfalls eher in Richtung Pop-Rock geht und genauso gut aus der Feder von Nickelback oder Three Doors Down stammen könnte.
Army Of One, der nächste Track, erinnert mich vom Stil her an den schon eingangs erwähnten Song The Kids Aren’t Alright aus dem Jahr 1998. Die typischen geachtelten Drumbeats sind zwar nicht vorhanden, aber hier stört mich das ganz und gar nicht. Insgesamt ein sehr stimmiger Mix aus Rhythmus- und Lead-Gitarre, besonders die tiefen Octave-Chords in den Strophen gefallen mir sehr. Dazu ein einfaches, aber sehr passendes Gitarrensolo, das die von Dexter gesungene Melodie aufgreift und ab einem gewissen Zeitpunkt durch eine zweite Stimme ergänzt wird.
Der positive Trend des Albums wird auch durch den anschließenden Track Breaking These Bones bestätigt, der endlich mal wieder mit einem schnelleren Drumbeat aufwartet. Geprägt durch einfache Powerchord-Folgen und punktgenaue Lead-Einwürfe im Zwischenspiel nach dem zweiten Refrain stellt er einen soliden bis guten Rocksong dar.
Beim anschließenden Track Coming For You handelt es sich nicht um einen neuen Song. Er wurde schon 2015 veröffentlicht, allerdings nicht auf einem Album, weswegen es vertretbar ist, ihn in das aktuelle mit aufzunehmen. Definitiv nicht schlecht, aber beizeiten etwas langweilig. Das Gitarrensolo ist anfangs erneut an Dexters gesungene Melodie angelehnt. So gut gelöst, wie in Army Of One, ist es allerdings nicht. Für mich ist er nach Let The Bad Times Roll bislang der zweitschwächste Song des Albums.
Jazzige Einflüsse erwarten uns im nächsten Track We Never Have Sex Anymore, der schon vor einigen Wochen als zweite Single veröffentlicht wurde und den wohl kontroversesten Song des ganzen Albums darstellen könnte. Ob es nun der Einsatz von Blechbläsern, der markante Rhythmus oder das Mundharmonika Solo ist – dieser Song hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was man von The Offspring erwarten würde. Trotzdem finde ich ihn sehr gut. Warum genau kann ich auch nicht sagen. Jedenfalls ist er für mich der bisher beste Song des Albums. Dabei ist auch er auch nicht wirklich neu, sondern war bereits seit 2017 über Umwege in den Untiefen des Internets zu finden.
Weiter geht’s danach mit In The Hall Of The Mountain King, einer gut einminütigen Interpretation des Themas von Edvard Griegs In der Halle des Bergkönigs. Interessant, weil sich das Tempo im Verlauf immer weiter erhöht. Von anfangs knapp 140 BPM bis auf über 200 BPM zum Schluss. An sich eine coole Idee, klingt allerdings ein bisschen nach einem Lückenfüller, der nicht unbedingt Platz auf dem Album hätte finden müssen.
Die beiden anschließenden Tracks The Opioid Diaries und Hassan Chop geben mir endlich das, worauf ich die ganze Zeit gehofft hatte: Songs im 1990er The Offspring-Style, die ebenso auf die Früheren Alben der Band gepasst hätten. Die schnellen Drumbeats beider Songs, sowie zwei Gitarren, die dieselben, einfachen Powerchord Folgen spielen catchen mich von Sekunde eins.Das Gitarrensolo in Hassan Chop, ist für mich ein besonderes Highlight.
So genial ich The Opioid Diaries auch finde, ein Manko hat der Song leider: Das Zwischenspiel nach dem zweiten Refrain besteht fast durchgehend aus demselben Powerchord und monotonen Drumbeat. Auch wenn der Song sich recht schnell wieder fängt, macht ihn das leider um Einiges schlechter.
Beim darauffolgenden, vorletzten Track des Albums handelt es sich um eine Piano-Version des Songs Gone Away, der bereits im Jahr 1997 auf dem Album Ixnay On The Hombre veröffentlicht wurde und zu meinen Lieblingssongs der Band zählt. Hier wird Dexters Gesang lediglich von einem Klavier und im späteren Verlauf von einigen Streichern begleitet. Ursprünglich schrieb er den Song, nachdem seine damalige Freundin bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Diese Version schafft es auf noch beeindruckendere Weise, seine Trauer und Verzweiflung rüberzubringen, als das Original.
Zum Schluss frage ich mich allerdings, warum das Album von einem Track wie Lullaby abgerundet wird. Was soll das? Verfremdete Gesangsauschnitte aus dem Song Let The Bad Times Roll und nur eine Minute Laufzeit. Diesen Song hätte man sich wirklich sparen können. Leider schmälert er den positiven Trend des Albums ein bisschen.
Meine anfängliche Befürchtung bezüglich des sich alles einverleibendem Pop-Einflusses hat sich zum Glück nicht bestätigt. Zwar ist er nicht unerheblich vorhanden, aber es ist definitiv nicht so, dass er alle anderen Einflüsse komplett überstrahlt. Songs wie The Opioid Diaries, Hassan Chop oder auch Army Of One sind der Beweis dafür, dass The Offspring ihre musikalischen Wurzeln der 1990er Jahre nicht vergessen haben. Die Piano-Version von Gone Away, stellt zusätzlich ein Highlight dar. Die Schwächen der Tracklist sind meiner Meinung nach gut zu verkraften. Im Großen und Ganzen ist es ein gelungenes und überraschend gutes, wenn auch teils durchaus ungewöhnliches Rock-Album.
Im Anschluss habe ich die Spotify Playlist The Offspring – 1990s to 2020s angefügt, in der ich von fast jedem bisher veröffentlichten Album der Band ein paar Songs aufgenommen habe. Die Playlist stellt einen groben Überblick dar, was The Offspring eigentlich im Großen und Ganzen ausmacht, ausgemacht hat oder ausmachen sollte.
Beitragsfoto: harlanov (Flickr)
Mir gefällt die Besprechung des neuen Albums von Offspring sehr gut, weil sie auch Schwächen nicht verschweigt und weil sie das Positive herauskitzelt. Vielleicht ein schwaches Album mit einzelnen Höhepunkten, die alles wieder aus dem Sumpf ziehen
Schalke spielt auch in der zweiten Liga, aber Fans müssen jetzt gerade zu ihrer Mannschaft halten. Das baut auf, das inspiriert die Spieler.
Wenn man mal sieht, was „Excape the Fate“ sich geleistet haben mit ihrem neuen Werk, kann man Offspring ohne Sorge kaufen. Ich habs mir bestellt.
LG Sven
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Toll , weiter so! von CAM gesendet
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